Unsere Literarischen-Lieblinge in 2017:
Eigenwillig
Wie beschreibt man einen Roman, der so ganz anders ist? Der auf mehreren Zeitebenen eine einzige Geschichte eher beiläufig erzählt, dabei nie schwierig zu lesen ist, sehr anrührend Lebensgeschichten mit Zeitgeschehen verwebt. Und der dabei auf eindringliche Weise ein Lebensgefühl vermittelt? Vielleicht, in dem man einfach diese Fragen stellt und hofft, dass das Buch viele Leser findet.
Denn Stefanie Greggs Roman über Anelija, die bei ihren Babas (der Großmutter und der Urgroßmutter) in einem kleinen Dorf in Bulgarien aufwächst, sollte von vielen gelesen werden: Gregg zieht uns hinein in den Alltag der drei Frauen, erzählt nicht beschönigend aber auch nicht reißerisch vom Leben im Kommunismus. Vom Schweigen über die großen Dinge, weil das Leben sonst zu gefährlich wird. Von der Sehnsucht und von Briefen auf weißem Papier. Aber auch von Veränderungen im kleinen und großen. Immer wieder gibt sie Georgi Markow das Wort, dem regimekritischen Schriftsteller, der auch in London nicht sicher vor den Schergen des bulgarischen Präsidenten Schiwkow war. Nicht nur, aber auch deswegen, gehört „Duft nach Weiß“ zu den wichtigen Entdeckungen im neuen Jahr.
Stefanie Gregg: „Duft nach Weiß“, Pendragon Verlag, € 15,00, eBook € 12,99
Klein und fein.
Seit dem letzten Jahr haben wir „Die Kleine Reihe“ aus dem Scribo-Verlag im Programm. Zwölf Zentimeter im Quadrat sind die Bücher, sie haben 100 bis 140 Seiten, schöne Fotografien – vor allem aber sind sie gut zusammengestellt und thematisch sehr überzeugend. Neben Dichterbüchern (das Beste von Busch, Goethe, Heine, Morgenstern oder Rilke, um ein paar zu nennen) gibt es auch jahreszeitlich ausgerichtete Anthologien, außerdem welche zu Statistik, schwarzem Humor und Partywissen.
Begeistert bin ich aber gerade von „Europa – Bilder / Gedichte“. Die Fotos sind sehr aussagekräftig und interessant zusammengestellt – und die Gedichte beschreiben, meist mit wenigen Worten, eine Stadt, ein Land, Lebensart oder kulturelle Wurzeln. Beispiel gefällig? „Waternish (Insel Skye) – wo die Straße endet – das Kapitänshaus – dahinter im Wind – die Ruine – dann nur noch Steine – auf dem Schlachtfeld – die Schafe.“ Manfred Bartsch
Die Kleine Reihe: „Europa – Bilder / Gedichte“, Scribo-Verlag, € 5,00
Unsere Literarischen-Lieblinge in 2016:
Im spanische Bürgerkrieg
Die Geschichte, die Lydie Salvayre erzählt, ist in weitesten Teilen die ihrer Mutter. Sie ist nicht einfach zu lesen, weil drei Erzählstrukturen miteinander verwoben sind (manchmal im gleichen Satz): Die Geschehnisse des Sommers 1936 in Katalonien und Barcelona (auch ein wenig 1937 und 1938), diejenigen auf Mallorca (hier beruft sich Salvayre auf den französischen Schriftsteller Bernanos, der 1934 bis 1938 dort lebte) und die der Jetztzeit. Die 16jährige Montse (Lydies Mutter), Spross einer ärmlichen Kleinbauernfamilie, soll als Dienstmädchen zum Ortsadligen gehen. Doch die erste Begegnung mit dem Ehepaar Burgos lässt ihren Widerspruchsgeist aufleben - wo bisher ein Hineinfügen in die Verhältnisse war, entsteht eine unbändige Lebenslust. Ihr heißsporniger Bruder José ist zur gleichen Zeit sehr begeistert von den anarchistischen Kommunen Kataloniens und als es ihm nicht gelingt, deren Lebensweise ins Heimatdorf zu übertragen, flüchten beide nach Barcelona.
Ich will gar nicht mehr erzählen. Denn es ist einfach unglaublich, wie die Autorin das Leben von Montse und der Familie beschreibt, wie sie darüber hinaus die Strukturen politischen Fanatismus benennt (und das auch noch, in dem sie verschiedene politische Spielarten gegenüberstellt und entlarvt): das alles gelingt ihr literarisch, begeisternd, verstörend, entsetzlich und gleichzeitig voller Lebenslust.
Lydie Salvayre: „Weine nicht“, Blessing Verlag, HC € 19,99, eBook € 15,99
Nichtnützlich
Natürlich liest man Bücher meistens, um gut unterhalten zu werden, um den Horizont zu erweitern, um Abzutauchen, oft auch weil man für einen konkreten Anlass lernen muss. Diese Buch liest man eher aus einem anderen Grund: um sich die Zeit mit etwas völlig Nichtnützlichem zu vertreiben. Und das Leben zu genießen.
Kathrin Radke hat ihr Buch „Ft oder Das Recht auf Faulheit“ genannt, es beginnt „Müßiggang ist des Buches – Anfang“, es folgt eine Art Vorwort zum Thema, und danach: vielfältige Kabinettstückchen über die Faulheit. Hier der Tagesablauf eines Arbeitenden (der folgerichtig damit endet, dass man am nächsten Tag den Wecker ausschaltet und weiterschläft), dort die Titanic als Bild aus drei Worten, hier ein nie geschriebener Text, dort drei Seiten für Lesefaule – man braucht vor allem eine wirklich freie Stunde, um dieses Büchlein zu genießen. Faul zu sein. Und danach kann man ja einfach noch ein wenig sitzenbleiben und nichts tun.
Kathrin Radke: „Ft oder Das Recht auf Faulheit“, Kunstanstifter Verlag, € 18,00
Eine Freude.
Bei dieser kleinen Reihe im Prestel Verlag stimmt einfach alles, die Auswahl der Gedichte und Bilder, die Zusammenstellung derselben, aber auch die Haptik des Einbandes, die Größe, die Papierqualität. Auch wenn wir das Adjektiv „liebevoll“ nur ungern nutzen (Bilderbuchverlage verwenden es inflationär) – hier passt es bestens, denn die Bücher sind wirklich liebevoll und mit großem Sinn fürs Detail gemacht. Ob Eichendorffs „Mondnacht“ fast in van Goghs „Sternennacht über der Rhone“ zu finden ist, oder Goethes „Der König und der Floh“ neben Longhis „Im Ankleidezimmer“, das Beieinander ist klug gewählt: so verändert das Lesen des Gedichtes den Blick aufs Bild und das Gemälde verwandelt den Tonfall der Poesie. Alles zusammen ist eine uneingeschränkte Freude.
Christine Knödler: „Mal deine Wünsche in den Himmel“, Prestel Verlag, € 19,95