unsere Belletristik-Lieblinge in 2005:
Wer ist gut und wer böse?
Sie könnten nicht unterschiedlicher sein: die Zwillinge Liza und Lee Haven. Die eine Stuntfrau und ständig unterwegs, die andere im mütterlichen Ice-Cream-Heaven im beschaulichen Stoneguard. Liza nutzt jede Gelegenheit, der englischen Heimat fernzubleiben, sie arbeitet hart und viel – bis sie nach einem schweren Unfall keine Anstellung mehr findet und erkennen muss, dass sie keine Freunde sondern nur Kollegen hat. Nach einer herben Absage nimmt sie, wider besseren Wissens, Lees Einladung zum Wohltätigkeitsball zugunsten der Alzheimer-Forschung an. Als sie in Stoneguard eintrifft, findet sie deren Haus jedoch verwaist vor. Und jeder verwechselt die wilde Liza mit der braven Lee.
Julie Cohen sorgt für mehr als nur Unterhaltung – ihr Roman ist eine interessant erzählte Schwesterngeschichte über die Suche nach dem eigenen Platz im Leben.
Julie Cohen: „Mit den Augen meiner Schwester.", Diana Verlag, € 8,99
Anrührend, verschroben, Mut machend.
Für Jack Rosenblum geht ein großer Traum in Erfüllung, als er, zusammen mit Frau und Kind Mitte der dreißiger Jahre von Berlin nach England auswandern darf – auch wenn es für seine Frau Sarah entsetzlich ist, ihre Eltern und Bruder Emil in Deutschland zurück zu lassen. Sarah wird nicht heimisch in London, obwohl es Jack bald gelingt, reich zu werden. Er führt sein Glück darauf zurück, dass er die Broschüre „Neu in England: Nützliche Informationen und freundliche Anleitung für jeden Flüchtling" nicht nur liest, sondern akribisch umsetzt. Eigentlich fehlt ihm nur noch die Mitgliedschaft in einem Golfclub - dann wäre er wirklich und endlich ein "ganzer Engländer". Da es, wie er schmerzlich erfahren muss, einem Juden nicht möglich ist, Mitglied zu werden, beschließt er schließlich, selbst einen Golfplatz anzulegen. In Dorset finden die Rosenblums nicht nur ein Cottage mit riesigem Grundstück sondern auch das sagenumwobene Dorset Wollschwein …
„Wie Mr. Rosenblum in England sein Glück fand" ist ein Buch der leisen Töne. Die allerdings ergeben eine wunderbare Melodie.
Natasha Solomons: „Wie Mr. Rosenblum in England sein Glück fand", Rowohlt Taschenbuch Verlag, € 9,99
Eine Polit-Satire.
In seiner Moskauer Zeit hatte Karpow nachts in der Küche experimentiert. Nach ihrem überstürzten Umzug in den Süden Russlands – seine Frau Marina wusste noch immer nicht, warum dieser hatte sein müssen - wurde die Garage des Großvaters zu seinem Labor. Hier gelingt Karpow endlich der Durchbruch: nun sorgt sein Serum für ein kontrolliertes Wachstum und er muss sich keine Sorgen mehr um übergroße Ratten machen; alle Versuchstiere erreichen nur noch die Größe normaler erwachsener Tiere. Allerdings ruft das Bekanntwerden seiner Erfindung ganz unterschiedliche Interessensgruppen auf den Plan, und keine davon ist zimperlich…
Oleg Kaschins hat einen spröden Schreibstil, der zu dieser Polit-Satire genau passt. Auch wenn die Geschichte vom Wachstumsserum eher nach Science Fiction klingt – die Darstellung der korrupten Strukturen sind keineswegs Erfindung: Kaschin, einer der bekanntesten Journalisten Russlands, weiß sehr genau, von was er spricht.
Oleg Kaschin: „Es geht voran.", Aufbau Verlag, € 16,99
Zum Lachen.
Mal sind es nur zwei Seiten, mal zehn, mal ist die Sprache das Thema, mal Verkäuferinnen von Damenoberbekleidung, gerne auch das Motoradfahren und öfter das menschliche Paarungsverhalten: Jürgen von der Lippe hat über sechzig Kurzgeschichten zum „witzigsten Vorlesebuch der Welt" zusammengestellt. Natürlich kann man sie auch für sich lesen, doch das ist nur das halbe Vergnügen (auch wenn es schon ein großes Vergnügen ist). Denn je mehr Leute zuhören, umso lustiger werden die Geschichten, weil jeder Lacher neue Lacher hervorlockt. Kein Wunder – hat er doch Geschichten so großartiger Autoren wie Harald Martenstein oder Frank Goosen versammelt und daneben noch Kabarettisten wie Horst Evers oder Katinka Buddenkotte. So kann man das Buch aufschlagen wo man will, zu Lachen gibt es immer!
Jürgen von der Lippe: „Das witzigste Vorlesebuch der Welt.", € 10,00
Zufällig ...
Wahrscheinlich könnte man ganz ähnliche Inhaltsangaben über mehrere Romane schreiben. Und doch ist Annette Hohbergs Buch besonders: Sie haucht jeder einzelnen Person Leben ein, bietet keine einfachen, aber stets menschliche und nachvollziehbare Lösungen – und schreibt dabei ausgesprochen mitreißend.
Klara, Studentin aus München, genießt den ersten Urlaub ohne Eltern. Es ist ein glühend heißer Sommer in den achtziger Jahren, und irgendwie naheliegend, dass sie sich in den gutaussehenden Stephan verliebt. Auch ihm bedeutet Klara etwas, vorsichtig planen sie ein gemeinsames Leben. Doch durch eine unglückliche Verkettung von Umständen verlieren sie sich aus den Augen. Mehr als zwanzig Jahre später, Stephan ist inzwischen Professor für Literatur, verguckt sich Klaras Tochter Isabel bei der Besprechung ihrer Abschlussarbeit in ihn. Zufällig entdeckt sie ein kleines Püppchen in seinem Regal. Ihr Satz „Meine Mutter hat auch so ein Püppchen", bringt Stephans Leben völlig durcheinander – und kurze Zeit später auch das von Klara und ihrer Familie.
Wahrscheinlich könnte man ganz ähnliche Inhaltsangaben über mehrere Romane schreiben. Und doch ist Annette Hohbergs Buch besonders: Sie haucht jeder einzelnen Person Leben ein, bietet keine einfachen, aber stets menschliche und nachvollziehbare Lösungen – und schreibt dabei ausgesprochen mitreißend.
Annette Hohberg: „Ein Sommer wie dieser.", Verlag Knaur, € 14,95
unsere Belletristik-Lieblinge in 2004:
Der gute Roman.
Laurence Cossé: „Der Zauber der ersten Seite.", Blanvalet Verlag, € 9,99
Mit der Pariser Buchhandlung „Der gute Roman"erfüllen sich die passionierte Leserin Francesca Aldo-Valbelli und der Buchhändler Ivan George einen Traum: sie statten ihre Buchhandlung nur mit besonders „nahrhaften" Romanen aus, mit „anmutsvollen Büchern; Büchern, die beweisen, dass in der Welt die Liebe wirkt, neben dem Bösen, gegen das Böse und manchmal nicht von ihm zu unterscheiden". Die Auswahl trifft, völlig anonym, ein Komitee aus acht ausgezeichneten Autoren, lediglich Francesco und Ivan wissen, um wen es sich handelt. Doch dann werden nacheinander drei der Schriftsteller bedroht, eine überlebt nur knapp einen Anschlag. Wer mag wohl etwas gegen gute Romane oder gute Buchhandlungen haben?
Die Autorin Laurence Cossé schlägt eher leise Töne an und so ist „Der Zauber der ersten Seite", trotz des spannenden Inhalts, kein Krimi geworden. Sondern ein wunderbar erzählter Roman über die Lust am Lesen – und an guten Büchern.
Laurence Cossé: „Der Zauber der ersten Seite.", Blanvalet Verlag, € 9,99