Unsere Kinderbuch-Lieblinge in 2021:
Wunderkind
Herr und Frau Burg-Bartel liebten Menschen. Die Nachbarn im Osten, völlig Fremde im Park, freundliche Bauarbeiter. Am allermeisten aber liebten sie ihr Kind Hubert Horatio Bieber Burg-Bartel. Hubert Horatio war ein überaus kluges Kind, das außer Haiku, Ikebana und Kuchenback wirklich alles konnte: Zahlenakrobatik, moderner Tanz, Kunst und Freundlichkeit. Vor allem aber war Hubert Horatio ein absolut verantwortungsvolles Kind. Gar nicht unbedingt freiwillig. Aber wenn man absolut verantwortungslose Menschen als Eltern hat – und seien sie noch so liebenswert –, dann bleibt einem ja vielleicht auch gar nichts anderes übrig …
Bilder, Kollagen und Figurenporträts, Briefe, Nachrichten und Randbemerkungen: „Hubert Horatio – Wie du deine Eltern erziehst“ ist eine großartige, witzige Mischung aus mal mehr, mal weniger Fließtext und zahlreichen Ergänzung in allen möglichen Bereichen. Es gibt Seiten mit fünf Sätzen und welche fast ohne Weißraum. Und doch ist die Geschichte um die Familien Burg-Bartel und Filzig keine Geschichte, die man sich erst zusammenpuzzeln muss – sondern echtes, durchgängiges Lesevergnügen für Kinder ab 8 Jahren.
Lauren Child: „Hubert Horatio – Wie du deine Eltern erziehst“, Übersetzung Ann Lecker, Dragonfly, 978-3-7488-0054-5, € 15,00 KIND
Mutig I
Kennt Ihr Eugene Hütz? Indira Ranamagar? Stanislaw Petrow? Ich kannte keine der drei Personen. Und auch von den anderen über achtzig Menschen, die in diesem Buch vorgestellt werden, sind mir nur ein paar bekannt. Ocean Vuong zum Beispiel, amerikanischer Schriftsteller mit vietnamesischen Wurzeln, kannte ich; allerdings weiß ich erst seit „Stories for Kids who dare to be different“ was er erlebte. William Buckland war mir ein Begriff – Zulma Brandonie de Gasparini hingegen nicht, obwohl beide Saurier erforschten bzw. noch erforschen.
Egal wo man das Buch aufschlägt: Der Mensch, der beschrieben ist, fasziniert. Durch Einzigartigkeit und Durchhaltevermögen – egal, was alle anderen sagten oder immer noch sagen. Und nicht minder faszinierend ist, dass diese Menschen auf dem ganzen Globus leben, alle Hautfarben haben und jenseits festgefügter Geschlechterrollen agieren. Das macht „vom Mut, anders zu sein“ zu einem hochinteressanten Lesebuch für Menschen ab 10 Jahren. Für Jüngere ist es eingeschränkt geeignet, hier ist begleitetes Lesen gefordert, weil die Lebenssituationen der Menschen oft nähere Erläuterungen braucht (und manchmal auch schwer auszuhalten sind).
Ben Brooks: „Stories for Kids who dare to be different – vom Mut, anders zu sein“, Loewe Verlag, 978-3-7432-0421-8, € 19,95
Unsere Kinderbuch-Lieblinge in 2020:
Eine Kleinstadt, ganz in der Nähe von München …
In Puchheim leben Menschen aus 115 Nationen, es ist vielfältig und bunt (und hat eine wunderbare Buchhandlung, ich kann nur jedem den Besuch bei Nicola Bräunling und ihrem Team empfehlen). Seit ein paar Jahren ist das Quartier Planie im Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“ – und damit beginnt die Geschichte dieses Kochbuches. Denn der Quartiersmanager der Puchheimer Planie hatte die Idee, die Gemeinsamkeiten der vielen Nationen nach außen zu tragen und gleichzeitig die Vielfalt zu betonen. Womit gelingt das besser als mit einem Kochbuch? Viele Menschen kochen ausgesprochen gerne und essen „müssen“ wir ja sowieso alle. Gesagt, getan. Und so wurden Menschen aus 21 Nationen in ihrer Küche besucht und beim Kochen fotografiert; es ist erstaunlich, wie viel Persönliches sich dabei offenbart. Natürlich sind auch die Rezepte samt Zutatenliste abgedruckt. Mich fasziniert da vor allem, wie unterschiedlich Reis zubereitet werden kann und dass er wirklich auf nahezu der ganzen Welt ein fester Bestandteil der Küche ist. Es gibt allerdings auch viele Rezepte mit völlig anderen Zutaten – nicht, dass Sie einen falschen Eindruck von diesem Kochbuch bekommen. Das im Übrigen vermutlich auch deshalb so schön geworden ist, weil der Verlag sehr viel Übung mit Kochbüchern hat. Aber nicht nur: Die Aktion selbst ist großartig und die Rezepte machen Lust aufs Kochen. Was will man mehr?
Mehmet Ismail Birinci & Aveen Khorschied: „Komm in meine Küche!“, Verlag GU, 978-3-8338-7555-7, € 24,00
Schule einmal anders
Weil ihre Lehrerin schwanger ist, wird die 3b ab jetzt von Leo Twister unterrichtet. Schon die ersten paar Minuten sind ungewöhnlich: Da kommt nämlich nicht nur Herr Twister – es kommt auch seine Mutter, sie schiebt ihn in die Klasse, stellt ihn vor, gibt ihm einen Kuss auf die Wange und zupft seinen Kragen zurecht. So steht er dann vor der Klasse, die eh‘ als undiszipliniert verschrien ist. Vor lauter Aufregung hat er Hunger. Zum Glück gibt die kluge Merle den Rat, das einfach als Ernährungsprojekt auszugeben. Und schon steht „Ernährungsprojekt“ an der Tafel und alle knuspern genüsslich ihre Pausenbrote. Für neun Uhr steht dann „Diktat“ im Stundenplan, weil aber auch Leo sich nicht übers Diktieren freut, erzählt er Witze und die Schüler*innen schreiben die jeweils drei schwersten Wörter auf. Selbst fürs Vierer-Einmal-Eins hat Leo spannende Ideen! Aber ob die Direktorin genau so zufrieden ist, wie die Kinder es sind?
Wenn Schule nur immer so unterhaltsam wäre! Dann würden sicher alle Kinder gerne hingehen. Davon lesen, das können sie immerhin alle – und sich dabei mitfreuen und lachen, aber manchmal eben auch mitfiebern, denn nicht alles ist immer schön. Auch nicht bei Mister Twister … Spannendes Lesefutter für Kinder ab 8 Jahren.
Mirjam Oldenhave: „Mister Twister – Wirbelsturm im Klassenzimmer“, Coppenrath Verlag, Übersetzung: Andrea Kluitmann, € 12,00
Familienturbulenzen
Malinas Opa war der lustigste Mensch, den sie kannte. Wobei er in den letzten Tagen noch ein bisschen pfiffiger wirkte als sowieso – warum, das erfahren Malina und ihre Eltern nach seinem Tod. Denn im Testament steht, dass sie sein Haus erben (das ist ganz praktisch, die alte Wohnung passt eh‘ nicht mehr), und zwar gemeinsam mit Papas Schwester Rosemarie. Gemeinsam! Dabei haben Papa und Tante Röschen schon seit Ewigkeiten Streit und reden nicht miteinander. Malina hatte bis Opas Beerdigung gar nicht gewusst, dass sie eine Tante und einen Cousin hat! Zum Glück ist das Haus so groß, dass man sich gut aus dem Weg gehen kann. Nur mit Alexander, dem Cousin muss Malina näher auskommen, denn sie sind nach den Sommerferien in der gleichen Klasse.
Was eigentlich ganz gut ist – denn das Haus birgt ein Geheimnis und es gibt Ganoven, die es darauf abgesehen haben!
Wer gerne Abenteuerromane mit viel Witz liest und dabei auch verzwickte Familiengeschichten mag, kommt bei „So ein verflixtes Erbe“ voll auf seine Kosten. Und dies, obwohl das Buch mit einem Todesfall beginnt; denn Opa Jupp war einfach sehr besonders, er war so ungewöhnlich, dass es selbst bei der Beerdigung eher heiter zugeht. Mal erzählt Malina, mal Alexander von den kommenden Wochen – die beiden sind herrlich gegensätzlich und jeder auf sehr eigene Weise klug. Wirklich gut wird es erst, als sie zusammenhalten und den Ganoven entgegentreten … Geeignet ab 10 Jahren.
Andrea Schomburg: „So ein verflixtes Erbe“, Hummelburg Verlag, 978-3-7478-0013-3, € 12,99, eBook € 9,99
Streng geheim
Es gibt nichts, was sich Henry sehnlicher wünscht als einen Hund. Auch wenn das enorm viel Arbeit bedeutet. Und er vielleicht sogar das Futter selbst bezahlen müsste. Aber seine Eltern stimmen sowieso nicht zu, da können die Argumente noch so gut sein. Nach einer dieser fruchtlosen Diskussionen dreht Henry eine seiner Runden im Wald – das hat sich zum Frustabbau bewährt. Nur ist er so wütend, dass er nicht genau guckt, wohin er fährt und blöderweise über etwas stürzt, was im Weg liegt. Etwas? Das „Etwas“ sieht aus wie ein kleines Mammut! Zum Glück hat Henry zwei gute Freund*innen, die ihm dabei helfen, besagtes Mammut zu „retten“, denn man weiß ja, was sonst passieren könnte, sie alle haben ja „ET, der Außerirdische“ geguckt …
Knut Krüger hat ein spannendes, witziges, ziemlich hintergründiges Buch geschrieben, ein Buch in dem es natürlich vor allem um das Mammut geht – aber auch um Mut, Hilfsbereitschaft, Freundschaft und nicht zuletzt um kluges Handeln. Der Schriftgrad ist nicht zu klein, die Kapitel schön kurz, zum Vorlesen ist es auch geeignet; vor allem aber ist es tolles „Lesefutter“ für Kinder ab 8 Jahren.
Knut Krüger: „Nur mal schnell das Mammut retten“, dtv, ISBN 978-3-423-71804-2, € 7,95 eBook € 6,99, CD € 13,00
Abenteuer im Sherwood Forrest
Maya, Emma und Oskar werden „die Bleichgesichter“ genannt – und das ist nicht nett gemeint. Solange sie ihre Zeit in der Bibliothek verbringen können, ein Buch in der Hand und eine Geschichte im Kopf, ist es ihnen aber egal. Denn die Bibliothek ist sowieso der einzige Ort, der ihnen wirklich gut gefällt. Doch eines Tages soll sie geschlossen werden! Zum Glück ergreift Frau Müller-Liebelein, die Bibliothekarin, die Initiative und bringt die Bücher in ihre geheime Bücherei. Vielmehr: Sie lässt die Bücher bringen, und zwar von Maya, Emma und Oskar. Zum Dank schenkt sie ihnen ein Buch und rät ihnen, es gemeinsam in der Hand zu halten und daraus vorzulesen, wenn sie in Gefahr sind. Die Gefahr lässt nicht lange auf sich warten und der Sherwood Forrest dann auch nicht …
Robin Hood kennt ja eigentlich jedes Kind. Rüdiger Bertram erzählt, abenteuerlich und spannend, eine etwas andere Geschichte – nämlich die von einem Räuber, den erst „die Bleichgesichter“ auf den richtigen Pfad führen. Das ist vergnüglich zu lesen und, weil es großzügig gedruckt ist, auch für diejenigen ab 8 Jahren gut geeignet, die sich mit dem Lesen nicht ganz so leichttun.
Rüdiger Bertram: „Retter der verlorenen Bücher – Mission Robin Hood“, Verlag Ueberreuter, 978-3-7641-5116-4, € 12,95