Unsere Krimi-Lieblinge in 2019:
Reichlich verwickelt
Es ist Heiligabend in Byford, einem weitläufigen Dorf in den West Midlands. George Wheeler, Pfarrer ohne Ambitionen, muss sich nicht nur mit der Mitternachtspredigt befassen, für die er so gar keine Idee hat, er ist sich auch unschlüssig, ob er überhaupt der Richtige für dieses Amt ist. Immerhin glaubt er gar nicht an Gott! Dass der gewalttätige Noch-Ehemann seiner Tochter Joanna an diesem Nachmittag eintrifft, um mit ihr zu reden, macht das Ganze noch komplizierter – am liebsten würde George ihm mit den Fäusten richtig zeigen, was er von ihm hält. Spät am Abend wird besagter Graham Elstow erschlagen aufgefunden, in Joannas Zimmer im Pfarrhaus, im Bett liegend. Die Polizisten Lloyd und Hill ermitteln: Obwohl der Fall so einfach aussieht, kommen sie der Lösung nicht näher, ständig ergeben sich neue Tatsachen und bisher unbekannte Alibis. Und die gesamte Familie Wheeler scheint permanent zu lügen …
Jill McGowns Romane stehen in bester englischer Kriminaltradition, sie braucht den Vergleich mit Agatha Christie nicht zu scheuen. Sie legt ständig neue Fährten, greift in völlig anderen Zusammenhängen auf bekannte Tatsachen zurück, alle ihre Protagonisten haben ziemlich viel Privatleben – wer gerne whodunnits liest, sollte unbedingt loslesen. Am besten direkt an den Weihnachtstagen. Oder wenn es mal heftig schneit.
Jill McGown: „Mord im alten Pfarrhaus. Ein Weihnachtskrimi“, Übersetzung: Barbara Först, Dumont Verlag, 978-3-8321-6509-3, € 10,00
Delete, delete
Noack hat schon als Kind gewusst, dass man vorsorgen muss. Genug zu essen im Schrank und auch ein sehr, sehr sicheres Dach über dem Kopf – seine Eltern fanden das immer völlig überzogen. Bis die atomare Belastung nach Tschernobyl sie eines Besseren belehrte. Nun ist Noack 44 Jahre alt, geschieden, und ein Prepper: Hier hat er Konserven gehortet, dort im Wald andere Vorräte, ein altes Armeefahrzeug steht bereit. Noack ist aber auch Journalist in einer Online-Redaktion und als solcher dafür zuständig, Hassbeiträge herauszufiltern und zu löschen. Delete, delete. Eines Morgens auf dem Weg nach Hause wird er hinterrücks überfallen, die Suche nach dem Täter endet tödlich …
Johannes Groschupfs Thriller nimmt uns Leser*innen sehr mit: Da ist zum einen die Prepperszene, die erstaunlich nachvollziehbar wird, gerade weil Noack eigentlich durchaus sympathisch ist. Und da sind zum anderen die Beiträge, die Noack weglöscht – viele davon sind abgedruckt. Eingebunden in eine sehr spannende, nachvollziehbare und wirklich erschütternde Story bekommen wir Leser*innen hautnah mit, was Sprache kann. Und was sie tatsächlich tut: Sie verändert uns selbst und das Miteinander.
Johannes Groschupf: „Berlin Prepper“, Suhrkamp Verlag, 978-3-518-46961-3, € 14,95, eBook € 12,99
Man muss Frau Maier einfach mögen.
So endet der Klappentext zum ersten Kriminalroman, in dem besagte Frau Maier als Ermittlerin fungiert. Der Roman ist nicht neu und trotzdem sehr im Hier und Jetzt, obwohl Frau Maier einen alten Röhrenfernseher hat, kein Handy und noch nicht mal ein Telefon. Was Frau Maier stattdessen hat: Courage und Menschenkenntnis, Klugheit, eine Katze und ein kleines Haus am Chiemsee, das nicht mit dem Auto zu erreichen ist.
An einem Montag beim Spaziergang entdeckt Frau Maier eine nackte Frauenleiche im Schilf am Ufer des Sees. Aber bis sie die Polizei alarmieren kann und die dann kommt, ist nichts mehr zu finden. Für Kommissar Brandner ist klar, dass Frau Maier aus lauter Einsamkeit und Geltungsbewusstsein einen Kriminalfall erfunden hat. Für Frau Maier ist klar, dass jemand die Leiche weggeschafft hat – und dass dieser jemand sie beobachtet hatte, sie hat es genau gespürt. Und vorsichtige, leise Schritte, die hat sie auch gehört und Rascheln im Gebüsch. Natürlich lässt ihr das keine Ruhe, irgendjemand muss ja dafür sorgen, dass der Mord an Anita Graf aufgeklärt wird. Bald hat sie den Eindruck, dass auch sie selbst auf der Liste des Mörders steht. Aber man kann ja die Angst nicht das Kommando übernehmen lassen, oder?
Jessica Kremser: „Frau Maier fischt im Trüben“, Pendragon Verlag, 978-3-8653-2340-8, € 12,99, eBook € 10,99
Im Leben der anderen (Empfehlung von Ralf Schwob)
Thomas kehrt mit seiner Freundin aus dem Urlaub zurück. Sie sind kaum in der gemeinsamen Wohnung angekommen, als Thomas im Bad von einem Unbekannten angegriffen und schwer verletzt wird. Als er Tage später im Krankenhaus wieder zu sich kommt, muss er von der Polizei erfahren, dass es sich bei der Tat nicht um einen simplen Einbruch handelt: Der Fremde hat offenbar zuvor wochenlang in der Wohnung des Paares gelebt und nun auch noch Saskia, Thomas‘ Freundin, entführt.
Während Thomas herauszufinden versucht, wer hinter all dem stecken könnte und vor allen Dingen, wo Saskia gefangen gehalten wird, tappt die Polizei im Dunkeln, bis sich eine junge Ermittlerin einschaltet, die ungewöhnliche Wege geht, und damit schnell in Konflikt mit ihren Vorgesetzten gerät. Da wird erneut ein Paar überfallen, der Mann getötet und die Frau verschleppt …
Das Besondere an Winkelmanns Thriller ist, dass der Leser die Handlung auch aus der Sicht des Entführers erlebt – und dessen Ziel besteht keineswegs darin, den entführten Frauen Leid zuzufügen. Im Gegenteil: Er möchte mit ihnen eine harmonische Liebesbeziehung führen und eine Familie gründen. Er möchte endlich das Leben haben, das ihm verwehrt geblieben ist. Der Autor führt uns dabei schrittweise in die Vergangenheit des Täters und macht ihn und seine Handlungen damit psychologisch glaubwürdig. Die wechselnden Perspektiven und einige unerwartete Wendungen halten den Spannungsbogen bis zum Finale aufrecht.
Andreas Winkelmann: „Housesitter“, Rowohlt Verlag, 978-3-499-27207-3, € 9,99. eBook € 9,99
Eine Reise in die Vergangenheit
PJ Collins Alltag besteht aus Kontrollfahrten im Dorf, nahrhaften Mahlzeiten der Haushälterin Mrs. Meany und den mitleidigen Blicken der Dorfbewohner. Als bei Erdarbeiten auf der ehemaligen Burke-Farm Knochen gefunden werden, sieht er seine Chance gekommen – endlich wird er der Welt beweisen können, dass auf dem dicken Körper in Polizeiuniform ein kluger Kopf sitzt. Und tatsächlich findet er so einiges über seine Mitbewohner heraus und oft ist er dem Polizeischnösel aus der Großstadt einen guten Schritt voraus. Aber stammen die Knochen wirklich von Tom Burke, der vor 20 Jahren verschwunden ist? Und was ist mit den beiden Frauen, die sich damals um Tom sogar geprügelt hatten? Nicht immer ist das, was PJ herausfindet, etwas, was er auch wissen will …
Man hat die Straßen des kleinen irischen Dorfes Duneen bildlich vor Augen in diesem Kriminalroman des britischen Talkmasters Graham Norton, und sie sind bevölkert von Menschen aus Fleisch und Blut mit verständlichen Sehnsüchten und Beweggründen. Das macht einen Reiz dieses Buches aus. Darüber hinaus ist die Krimhandlung selbst schlüssig und nachvollziehbar – und gewürzt mit leiser Komik ist das alles auch. „Ein irischer Dorfpolizist“ ist wie geschaffen für einen Wintertag auf der Couch!
Graham Norton: „Ein irischer Dorfpolizist“, Rowohlt Verlag, € 12,00, 978-3-499-29148-7
Unsere Krimi-Lieblinge in 2018:
Sherlock Holmes‘ Gegenspieler
Kriminalromane, die im London zur Zeit Jack-the-Rippers spielen, gibt es einige. Das viktorianische Zeitalter mit seinen Veränderungen (vor allem in der Wirtschaft und damit bei den Verdienstmöglichkeiten und Lebensbedingungen) ist eine überaus interessante Epoche! Mick Finlays Krimi ist allerdings ein bisschen ungewöhnlich – denn er bildet diese veränderten Bedingungen ungeschönt ab. Das macht einen Teil dieses Buches aus.
Vor allem aber ist die Geschichte richtig gut erzählt: William Arrowood verdient sein Geld mit Ermittlungen, seit er seinen Job als Journalist verloren hat. Ihm zur Seite steht Norman Barnett, der ein wenig der Mann fürs Grobe ist. Arrowood legt großen Wert auf die Psychologie und ist stets genervt, wenn er in der Zeitung über die (aus seiner Sicht höchst zweifelhaften) Erfolge von Sherlock Holmes liest. Die beiden haben seit fünf Wochen keinen Fall mehr gehabt und so übernehmen sie die Suche nach dem Bruder einer jungen Fotografin – auch wenn der im „Barrel of Beef“ gearbeitet hat und die beiden dort Hausverbot haben und um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie dem Wirt, Mr Cream, noch einmal in die Quere kommen. Und so nimmt ein Kriminalfall seinen Lauf, der die beiden tatsächlich mehr als einmal in Lebensgefahr bringt …
Mick Finlay: „Arrowood – In den Gassen von London“, Verlag HarperCollins, 978-3-95967-174-3, € 10,99, eBook € 8,99
Ralf Schwob empfiehlt: Ein anderes Deutschland
Max Annas Roman Finsterwalde spielt in der Zukunft. Einer Zukunft, in der die EU zerschlagen ist und alle europäischen Länder zum Nationalismus zurückgekehrt sind. In Deutschland läuft die Rückführung aller "Nicht-Deutschen", dunkelhäutige oder arabischstämmige Deutsche bekommen im Zuge der Terrorismusbekämpfung die Staatsbürgerschaft entzogen und werden interniert, um sie ins Ausland abzuschieben. Der Fachkräftemangel wird durch gesteuerte Einwanderung aus dem europäischen Ausland behoben, die Menschen bekommen Bleiberecht auf Probe und eine Fußfessel zur Überwachung. Eine Griechin übernimmt in Berlin die Praxis der Ärztin Maria, deren Vorfahren aus Afrika kamen. Der Ehemann der Griechin findet bald kleine fotografische Botschaften der Vormieterin und macht sich auf die Suche nach der Frau und ihren Kindern ...
Das Deutschland, das Annas in seinem dystopischen Roman beschreibt, ist so nahe an den aktuellen Forderungen einiger rechter Gruppen, das es einen beim Lesen schaudert. Das völkische Prinzip herrscht und zur Terrorabwehr dürfen jederzeit Grundrechte ausgehebelt werden. Max Annas erzählt das alles aus der Sicht seiner beiden Hauptpersonen Marie und Theo, die sich, ohne es zu wissen, aufeinander zubewegen. Ein Roman, der spannend zu lesen ist und gleichzeitig nachdenklich macht.
Max Annas: „Finsterwalde“, Rowohlt Verlag, 978-3-498-07401-2, HC € 22,00, eBook € 19,99
Mit Gift zum Glück
Es war eine Liebesheirat. Auch im Rückblick sieht Irene das so – auch wenn sich das Leben miteinander dann irgendwie anders entwickelt hat. Nicht hin zum großen Glück, sondern eher hin zum regelmäßigen Unglück. Dabei ist Horst, ihr Ehemann, gar nicht übel, er findet nur einfach seine eigene Meinung und seine Bedürfnisse sehr viel wichtiger als die von Irene. Eines Abends stehen plötzlich statt ihrer geliebten Bücher (zugegeben, sie lagerten schon länger in Kisten und waren nicht wegsortiert) Zementsäcke im Keller, das ist der berühmte letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Als Irene zufällig Blei findet, wird sie zur Chemikerin: „Die Ehe ist ein Krieg. Ist es da nicht logisch, dass sie auch so endet wie alle Kriege? Einer stirbt!“
Mit viel schwarzem Humor und reichlich Fatalismus lässt Sara Paborn ihre Protagonistin über die letzten Monate ihrer Ehe berichten und in Rückblicken auch über das ganze gemeinsame Leben. Das ist zutiefst unterhaltsam zu lesen, weil Irene auch sich selbst auf die Schippe nimmt und darüber hinaus viele kleine Weisheiten und Zitate eingestreut sind, nie aufdringlich, aber immer erhellend. Dieses Buch ist köstlich!
Sara Paborn: „Beim Morden bitte langsam vorgehen“, DVA, 978-3-421-04802-8, € 18,00, eBook € 13,99
Bolls siebter Fall
Am
Dienstag, den 6. März 2018 ist die nächste Krimilesung „Mord in der
Schöfferstadt“, seit vielen Jahren gibt es diese Reihe als Kooperation
zwischen unserer Buchhandlung, der Kreisvolkshochschule und der
Schöfferstadt. In diesem Frühjahr haben wir wirklich Glück: Monika Geier
hat mit ihrem Krimi „Alles so hell da vorn“ gerade den zweiten Platz
beim Deutschen Krimipreis gewonnen. Und zwar aus sehr gutem Grund – ihre
Art zu schreiben, die Darstellung der Figuren, die unabsehbaren
Wendungen und auch die verschiedenen Handlungsstränge machen das Buch
sehr besonders.
Bettina
Boll will die ungeliebte, nasskalte Villa verkaufen, die sie von Tante
Elfriede geerbt hat. Beim letzten Rundgang vor der offiziellen
Besichtigung entdeckt sie eine unbekannte Tür im Keller – doch bevor sie
sich wirklich kümmern kann, wird sie zu einem Mord gerufen. Einem Mord
in Frankfurt, bei dem sie eigentlich nicht zuständig ist. Allerdings ist
das Opfer ihr Ludwigshafener Kollege … Und so ist Boll bald mitten in
Ermittlungen über Kinderhandel und Zwangsprostitution. Sie stellt die
richtigen Fragen, eckt damit mehr als einmal an, doch am Ende ist sie
es, die alle Fäden zusammenführen kann.
Monika Geier: „Alles so hell da vorn“, Ariadne Verlag, € 13,00, eBook € 8,99
Ein Mops, Magie und der Weltuntergang
Lennart Malmkvist hat zwar eine Beziehungsallergie (im wahrsten Sinne des Wortes - kommt ihm jemand nahe, entwickelt er juckende Pusteln), ist aber sonst ziemlich zufrieden mit seinem Leben. Ein guter Job, nette Nachbarn, wohlschmeckendes Essen, so lässt sich das Leben genießen. Ab und zu übergibt ihm die Nachbarin Maria
ein Tablett voller Leckereien und er bringt es zu dem Zauberladen an der Ecke, in dessen Eigentümer, Buri Bolmen, Maria verliebt ist.
Eines Tages träumt Lennart von einem Leierkastenmann, er träumt so lebhaft, dass er sich dabei heftig am Bett stößt - und begegnet diesem Mann tags darauf wirklich. Richtig schrecklich wird der Tag aber, als zwei Polizisten ihn wegen des Todes von Buri Bolmen verhören. Und noch schrecklicher, als Bolmens Mops Bölthorn beginnt, mit ihm zu reden ...
"Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen" changiert sehr unterhaltsam zwischen Krimi und Fantasy, dabei ist er zügig und interessant erzählt. Wirklich überzeugend ist allerdings die Story: Sehr logisch fügt sich alles ineinander und doch bleibt das Buch bis zum Ende überraschend!
Lars Simon: "Lennart Malmkvist und der ziemlich seltsame Mops des Buri Bolmen", dtv, ISBN 978-3-423-21651-7, TB € 9,95, eBook € 3,99, Hörbuch € 15,00