Lieblinge des Monats April.
Jana DeLeon: Weg vom Schuss
Als Fortune Redding nach etwas über siebzehn Stunden aus dem Flugzeug steigt, trägt sie ein Abendkleid, ist barfüßig und sie hält ihren Revolver in der Hand. Den hatte sie bei ihrem Einsatz am Abend vorher nicht dabei, er ließ sich im Abendkleid leider nicht verstecken, und so musste sie sich mit einem der Stilettos verteidigen. Leider überlebt der Angreifer das nicht – und nun hat sein Bruder, der Chef der Waffenhändler, ein hohes Kopfgeld auf sie ausgesetzt. CIA-Direktor Morrow, ihr Chef, würde sie eigentlich gerne loswerden, doch unter diesen Voraussetzungen bleibt ihm im Augenblick nur eine Möglichkeit: Er gibt ihr eine neue Identität und versetzt sie in das ödeste Kaff, dass Fortune sich nur vorstellen kann, Sinful in Louisiana. Dort taucht jedoch, schneller als sie „Schönheitskönigin“ sagen kann, eine Leiche auf …
„Weg vom Schuss“ ist der erste Band der Fortune-Redding-Reihe (es gibt bisher zehn Bände) – und er macht großen Spaß! Neben Fortune, die eine ziemlich verkrachte Agentin abgibt, gibt es da vor allem Gertie und Ida Belle, ihre Nachbarinnen, bei denen Fortune keine Ahnung hat, was sie von ihnen halten soll: nette, ältere Damen sind sie jedenfalls ganz sicher nicht! Es gibt reichlich Spannung, einiges an Slapstick, witzige Dialoge und ja, auch den ein oder anderen Toten. Ich werde jetzt nicht alle Bände nacheinander lesen – aber mit ziemlicher Sicherheit im Laufe der nächsten Monate alle.
Verlag Second Chances, Übersetzung: Jeanette Bauroth, 978-3-948457-14-3, € 14,00
Christian Schünemann: Bis die Sonne scheint
Vier Kinder, ein eigenes Haus am Ortsrand und Eltern, die lieber den Moment genießen, als die Steuerschulden abzuzahlen – das ist die Familie Hormann. Daniel, der jüngste Sohn, steht kurz vor der Konfirmation und hofft inständig, dass genug Geld da ist für die Hose und das Samtsakko. Vielleicht sogar für eine größere Feier. Oder zumindest für die Klassenfahrt nach Frankreich, wegen der Lehrer Grüneberg ihn schon zwei Mal angesprochen hat. Doch egal, was die Eltern beginnen, ob es ihre Firma Hormanns Massiv Haus oder das Wollgeschäft der Mutter ist, für den Lebensunterhalt reicht es nicht. Aber muss man sich deswegen gleich einschränken?
Christian Schünemann erzählt im Nachwort, dass er im Gespräch mit seinen Geschwistern erkannt hat, dass jeder ganz eigene Erinnerungen an Familienleben hat, Erinnerungen, die sich manchmal sogar widersprechen. Darum habe er allen Protagonisten andere Namen gegeben – es sei eben seine subjektive Erinnerung. Er beschreibt das Familienleben der Hormanns ein wenig verschachtelt, so, wie man Vergangenes aus dem Gedächtnis abruft. Und er ergänzt seinen Familienroman mit den Geschichten der Großeltern und der Herkunftsgeschichte der Eltern. Das ist faszinierend zu lesen und atmet einiges an 70er-Jahre-Feeling. Ganz klare Leseempfehlung!
Diogenes Verlag, 978-3-257-07331-7, € 25,00
Thomas Mann: Deutsche Hörer
Thomas Mann reiste Anfang 1933 zu einer Vortragsreise in die Schweiz – und traute sich danach nicht mehr zurück nach Deutschland, Hitler war gewählt worden und dabei sukzessive die Demokratie abzubauen und die Menschenrechte auszusetzen. Mann hatte 1929 den Nobelpreis bekommen, und trotzdem sah er keine Möglichkeit, weiterhin in Deutschland zu leben. 1938 ging er von der Schweiz aus in die Vereinigten Staaten. Er fühlte sich stets seiner Heimat verbunden, so sehr, dass er selbstverständlich die Gelegenheit ergriff, Ansprachen an die Deutschen zu halten. Die BBC hatte ihm im Herbst 1940 das Angebot gemacht, seine Reden auszustrahlen mit Reichweite bis weit hinein nach Nazideutschland. Mann erwartete, erhoffte zumindest, wenigstens einen Teil seiner Hörer von den grausamen Machenschaften Adolf Hitlers und der Nazis überzeugen und sie zum Handeln dagegen anregen zu können. 59 Reden sind es insgesamt geworden, anfänglich von jemand anderem eingesprochen, doch sehr schnell hat die BBC einen Weg gefunden, Thomas Mann selbst sprechen zu lassen.
Das vorliegende Buch ist nicht die erste Veröffentlichung der Reden. Aber es ist besonders – und das liegt an der Einleitung von Mely Kiyak. Sie ordnet Manns Worte ein, setzt sie in Bezug zu seinem Lebenslauf. Und ihr gelingt es, uns den strengen, wortgewandten Literaten auch als gefühlvollen Menschenfreund nahezubringen. Davon abgesehen: Oft genug habe ich beim Lesen Trump, Putin, Orban, Erdogan mitgedacht. Faschisten machen Faschistensachen, 1940 oder 2025. Und doch bleibt, nicht zuletzt nach der Lektüre von „Deutsche Hörer“, die Hoffnung auf eine gute Zukunft.
Verlag S. Fischer, 978-3-103-97685-4, € 24,00
Vincent Moissonnier / Joachim Frank: Der Käse kommt vor dem Dessert
Spricht man ein Hoch aus, indem man sich „nur“ zuprostet, oder stößt man tatsächlich mit den Gläsern an? Wann versendet man förmliche Einladungen und wann informelle? Und wie antwortet man am besten? Welcher Wein passt zu welchem Essen? Und wie isst man eigentlich Spargel?
Vincent Moissonnier betreibt ein gehobenes Restaurant in Köln und beantwortet all diese Fragen (und noch sehr viel mehr!) außerordentlich charmant. Man merkt ihm an, dass er sehr gerne Gastgeber ist – und das ihm am Wohl seiner Gäste gelegen ist. In diesem Buch sind seine Antworten oft mit kleinen, freundlichen Geschichten ergänzt, sie veranschaulichen sehr passend die Erklärungen. Alles ist vollkommen nachvollziehbar, auch, weil Moissonnier oft erzählt, wie es zu dieser Regel kam. Und trotzdem ist nichts in Stein gemeißelt, er sagt im Vorwort: „Wenn man krampfhaft alles richtig machen will, wird es (…) nicht besser. Ich werbe für einen Rahmen, nicht für eine Schraubzwinge.“ Wer sich also in der gehobenen Gastronomie sicher fühlen, oder auch einfach entspannt viel Sinnvolles über Tischsitten lesen will, der ist mit „Der Käse kommt vor dem Dessert“ sehr gut beraten. Die Illustrationen von Nishant Choksi machen übrigens auch zu einem sehr schönen Geschenk.
DuMont Buchverlag, 978-3-7558-0537-3, € 13,00
Anne Frank: Füller-Kinder. Erzählungen und Ereignisse aus dem Hinterhaus
„Das Tagebuch der Anne Frank“ ist Klassenlektüre. Wohl jeder Mensch in der westlichen Hemisphäre hat zumindest vom Tagebuch gehört, gelesen haben es auch Unzählige. Weniger bekannt ist, dass sie neben diesen „Alltagsaufzeichnungen“ auch fiktive Erzählungen verfasst hat, die sie selbst „Füller-Kinder“ nannte. Einige dieser Geschichten haben konkreten Bezug zu den Personen im Hinterhaus, andere haben märchenhafte Züge und wieder andere könnten auch Realität sein. Allen zu eigen ist Anne Franks Klugheit in menschlichen Dingen – eine Klugheit, die man einem 13, 14, 15-jährigen Menschen eigentlich nicht zutraut. Dazu sind sie durchzogen von Optimismus, der, gerade weil man viel über ihr Leben und den Holocaust weiß, immer bemerkenswert und manchmal nicht leicht zu ertragen ist.
Jede der Geschichten ist erstaunlich, jede lesenswert. Und die Ergänzungen durch die unterschiedlichsten Illustrationen machen dieses Buch noch faszinierender – denn jede malende Person erzählt, was sie antreibt und setzt sich in Bezug zu Anne Franks Leben oder den Erzählungen. Das schafft Verbindungen in die heutige Zeit, und es regt noch ein stückweit mehr zum Nachdenken an, als die Texte es sowieso schon tun. Außerdem finden sich immer wieder, erkennbar an der anderen Schriftart, Auszüge aus dem Tagebuch, sie sind in direkte Beziehung zu den Erzählungen und den Portraits gesetzt. Ich möchte das Buch, genauso wie es ist, jedem Menschen über 12 Jahren zum Lesen geben!
Verlag jacoby & stuart, Übersetzung: Ruth Löbner (Anne-Frank-Texte) und Waltraut Hüsmert (Biografien), 978-3-96428-257-6, € 30,00