Lieblinge des Monats Januar.
Arezu Weitholz: Hotel Paraíso
Ein Bekannter hatte sie empfohlen – und so hütet Frieda ab Mitte Dezember eine kleine Hotelanlage an der portugiesischen Algarve. Der Nachtwächter käme ab und an vorbei, Otto, der Hotelhund wäre zu versorgen und die Zimmer sollen abwechselnd gelüftet werden, das sind die Eckpunkte ihres Auftrags. Friedas Aufgaben sind also klar umrissen, es bleibt ihr viel Zeit für Strandspaziergänge, Einkäufe, das Kochen und auch zum Gesundwerden. Doch was genau macht viel Tageszeit zu haben mit einem selbst? Und: eigentlich ist der Zeitraum trotzdem begrenzt, denn Lebensgefährte Jonas will zu Weihnachten kommen. Frieda weiß genau, was ihm guttut - nicht immer ist es das, was auch ihr guttut. Doch pendelt das Leben nicht sowieso hin und her zwischen Dingen, die man mag und weniger mag? Zwischen schönen und weniger schönen Erinnerungen? Zwischen Zugehörigkeitssehnsucht und zufriedenem Alleinsein?
„Hotel Paraíso“ ist kein Roman mit großem Handlungsspektrum, kein Krimi, keine Romanze. Aber es steckt eine ganze Kindheit darin und der Großteil eines Erwachsenenlebens: Frieda reflektiert und genießt, ist manchmal ruhig und oft unruhig, sie erzählt uns über ihr Großwerden im Dorf und den Alltag als Hörbuchsprecherin. Die Autorin Arezu Weitholz führt uns ganz dicht an ihre Hauptperson heran und schreibt dabei so klug, dass wir eingefangen sind in der Geschichte und merken, dass auch wir uns ausloten zwischen all den Gegenteilen, mit denen wir leben. Dieses Buch bekommt einen festen Platz in meiner Bibliothek, es gehört immer wieder gelesen.
Mareverlag, 978-3-86648-744-4, € 23,00
Sibylle Grimbert: Der Letzte seiner Art
Der Zoologe Auguste ist Mitte zwanzig, als das Naturhistorische Museum von Lille ihn nach Island schickt, er soll für es Forschungen über den Riesenalk anstellen und bestenfalls auch einen mit ins Museum bringen. Als er mit Fischern zur Insel Eldey fährt und vom Boot aus beobachtet, wie diese die ganze Riesenalk-Kolonie töten, des Fleisches und der Eier wegen, denkt er sich zunächst nichts dabei: Dass Menschen Tiere zum Essen schlachten, ist völlig normal. Doch den einen Riesenalk, der dem Massaker entkommen ist, den fängt er ein. Erst einmal muss er versuchen, ihn lebend durch die nächsten Monate zu bringen – das Tier braucht wohl doch mehr als Wassergüsse und Fisch zum Fressen. Dann will er ihn möglichst lebend nach Lille schaffen. Dazu kommt es nicht: Nach einer Schlägerei flieht Gus mitsamt Prosp, so nennt er ihn, auf die Färöer-Inseln. Ein paar Monate später ist Gus verheiratet und Prosp nimmt einen festen Platz im Familienleben ein. Trotzdem versucht Gus, eine Riesenalk-Kolonie für ihn zu finden. Aber Vögel seiner Art auszumachen wird immer schwieriger …
Sibylle Grimbert erzählt diesen Roman in drei Kapiteln, die nicht nur in verschiedenen Gegenden spielen, sondern sich auch durch den sich entwickelnden Erkenntnisstand des Zoologen Gus auszeichnen. Wo am Anfang das Töten der ganzen Riesenalk-Kolonie ihm völlig normal erscheint, verliert er im Laufe des Romans den Glauben an die menschliche Überlegenheit und gewinnt einen kritischen Blick auf den Umgang mit der Umwelt. Die Sprache ist eher distanziert – für mich passt das sehr gut, mehr Emotion wäre beim Thema Artensterben schwierig gewesen. Denn natürlich lesen wir diese Geschichte von vor fast zweihundert Jahren mit dem Wissen von heute. „Der Letzte seiner Art“ ist ein faszinierendes Plädoyer für Naturschutz verpackt in einen ungewöhnlichen Abenteuerroman.
Verlag Julia Eisele, Übersetzung: Sabine Schwenk, 978-3-961612-00-0, € 14,00
Henrietta Hamilton: Mord an der Charing Cross Road, übersetzt von Dorothee Merkel
Das Antiquariat der Familie Heldar ist alteingesessen in London, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind alle schon lange dabei und sind sehr vertraut miteinander. Sally Merton bearbeitet die Bestellungen und hütet das Ladenlokal. Und so beginnt die Geschichte an einem Abend in der dunklen Jahreszeit, nach und nach verabschieden sich alle von Sally, weil sie zur Vordertür hinausgehen müssen. Mr. Butcher hingegen will nur eine kurze Pause machen – und benimmt sich Sally gegenüber so daneben, dass Johnny Heldar eingreifen muss, als er zufällig vorbeikommt. Am nächsten Morgen findet die Putzfrau Mr. Butcher ermordet an seinem Arbeitsplatz vor. Butcher war ein unangenehmer Zeitgenosse, aber da muss mehr dahinterstecken …
Henrietta Hamiltons Kriminalroman stammt aus der Mitte der 1950er Jahre, er liegt nun erstmals auf Deutsch vor (und die nächsten Bände dieser Reihe sind auch schon angekündigt). Das ist „typisch englische“ Krimikost in der Art von Agatha Christie und es macht großes Vergnügen, das zu lesen! Die Handlung rollt klar strukturiert vor unseren Augen ab, und doch gibt es einige Überraschungen und spannende Drehungen – und eine Gespenstergeschichte obenauf. Außerdem lernen wir Leser*innen das „Innenleben“ eines Antiquariats vor dem Internet-Zeitalter kennen, und das ist nicht nur für Buchhändler*innen wirklich interessant. „Mord in der Charing Cross Road“ ist wie gemacht für einen gemütlichen Nachmittag auf der Couch.
Verlag Klett-Cotta, 978-3-608-96615-2, € 17,00
Kai Lüftner und Freunde: Durchhalten
Der Tipp auf Seite 48 lautet „Nichts“ – ich lese ihn und denke ans Zugfahren. Da habe ich ein Buch dabei, ein Rätselheft und das Handy mit all seinen Möglichkeiten sowieso. Und was mache ich? Nichts. Ich guck‘ aus dem Fenster, manchmal stundenlang. Dann komme ich an, vielleicht im Urlaub, vielleicht zu einer Weiterbildung, und bin entspannt. Das zu nutzen, wenn es mir schlecht geht, darauf bin ich noch nicht gekommen; aber das wird sich jetzt ändern. Kochen hingegen, der Tipp ein paar Seiten weiter, den kenne und nutze ich, so oft das Zeitmanagement es zulässt. Tipp Nr. 36, er stammt von Deborah Ruggieri, lautet Kunst; sie selbst geht ins Atelier und malt. Ich gehe öfter ins Museum, und ja, die Zeit dort ist komplette Auszeit.
Ein Buch übers Durchhalten – Kai Lüftner, der Autor und Ideengeber dafür, hat ganz bewusst keinen Ratgeber geschrieben. Und auch keinen Ratgeberverlag für diese Sammlung von Möglichkeiten für kleine Auszeiten, das Herunterkommen, fürs -Dranbleiben ausgesucht, sondern einen Geschenkbuchverlag. Das bekommt dem Buch sehr gut! Manche der Tipps klingen banal: aber manchmal braucht man ja genau sehr einfache Dinge, damit man sich besser fühlt. Andere Tipps sind auf den ersten Blick eher ungewöhnlich, „Nachtwandern“ zum Beispiel. Aber wenn ich so drüber nachdenke … Das hier ist kein Buch, dass durch schwere Krisen oder Krankheiten hilft. Aber es ist eindeutig ein Buch, das den Alltag erleichtert und begleiten kann, auch in schwierigen Zeiten!
Coppenrath Verlag, 978-3-649-67175-6, € 16,00
Christian Tielmann: Drachenschule Nebelsturm – Im Sturzflug ins Abenteuer
Natürlich ist es Faust-Tom, der über den Schwanz von Lüx stolpert, und nicht einer der beiden anderen Toms. Und natürlich glaubt er Milan nicht, dass da überhaupt ein Drache liegt – er kann ihn ja nicht sehen. Keiner aus Milans Klasse kann ihn sehen. Und auch die Lehrerin nicht, aber die kann Milan sowieso nicht leiden. Der Direktor verhängt einen Schulverweis … Ein paar Tage später bringt Milans Mutter ihn zu einem Schrottplatz; soll das etwa die neue Schule sein? Zum Glück ist er nicht der einzige, der dort ist und so findet er tatsächlich den Zugang zur Schule; durch Zufall nennt er an der geheimen Pforte sogar das Losungswort. Und so heißen ihn Schüler*innen und Lehrkräfte der Drachenschule Nebelsturm herzlich willkommen! So fängt das Abenteuer mit Glücksdrachen Lüx so richtig an!
Ich habe die ersten Kapitel von „Drachenschule Nebelsturm“ zweiten und dritten Klassen vorgelesen – sie hörten genau zu und waren vollkommen dabei. Denn die Geschichte ist spannend, ein bisschen lustig und auch ganz schön interessant. Zum Selbstlesen ist sie außerdem auch geeignet: Die Sätze sind nicht allzu lang, die Schrift noch etwas größer. Es gibt genug Weißraum, die alles sehr übersichtlich macht. Und dann gibt es noch toll zum Text passenden Illustrationen von Reinki/Lipkowski. Alles zusammen macht dieses Buch zu einem echten Lieblingsbuch. Zum Glück erscheint im Februar der zweite Band!
Loewe Verlag, 978-3-7432-1690-7, € 9,95